Dritter Bericht aus Ghana

Die Ankunftsphase – Startschwierigkeiten

In der Anfangszeit hieß es oftmals sich in unbekanntes Terrain zu begeben. Das begann bereits mit dem Flug, den ich allein antreten musste. Zum vorgesehenen Zeitpunkt der Ausreise im August war ich noch nicht volljährig und durfte deshalb erst einen Monat später nachkommen.

Meine Mitfreiwilligen hatten sich bei meiner Ankunft bereits eingelebt. Einerseits war das praktisch, denn sie konnten mir viel erzählen und beibringen. Es gibt viele Fettnäpfchen, in die ich getreten wäre, hätten meine direkte Mitfreiwillige (Carina), meine Gastmutter (Ama) und mein Mentor (Father Isaac) nicht an meiner Seite gestanden.

Auf der anderen Seite fand ich mich damit konfrontiert, dass die anderen schon in Ghana angekommen waren. Damit gab es niemanden in meiner Situation, mit dem/der ich mich austauschen konnte. Unser Umfeld hatte den Rest mit großem Enthusiasmus in das Leben vor Ort eingeführt; denselben Aufwand wollten viele dann aber kein zweites Mal aufbringen.

Eine wirkliche Eingewöhnungsphase gab es aber sowieso nicht, denn die Schule begann noch in derselben Woche, in der ich angekommen war. Das bedeutete eine Menge Stress und noch mehr Eindrücke – ich wurde buchstäblich in das ghanaische Leben hineingeworfen.

Rückblickend war ich hoffnungslos überfordert – im ersten Monat gab es keinen Tag, an dem ich nicht in meinen Straßenklamotten eingeschlafen wäre –, aber ich fand es nicht schlimm. Alles war neu und diese Fremdartigkeit war aufregend. Auf dem Vorbereitungsseminar haben wir das als „honeymoon phase“ bezeichnet. Noch betrachtet man das Land aus der Touristenbrille; jedes Erlebnis ist ein Abenteuer.

Ich dachte mir, dass der angekündigte Kulturschock wohl ausbleibe. Immerhin hatte ich schon vor meiner Ausreise genug Bilder gesehen und Geschichten gehört, um zu wissen, worauf ich mich einstellen sollte. Außerdem fühlte ich mich gut. Ja, viele Dinge liefen anders, aber ich war schließlich für einen Perspektivwechsel gekommen. Heimweh hatte ich keins, mir stand also nichts im Weg.

Ginge es jedoch so einfach, dann hätte man uns nicht so intensiv auf die Anfangsphase vorbereitet. Der Kulturschock – natürlich kam er – ereilte mich nach exakt eineinhalb Wochen. Es war der Tag, an dem Carina ankündigte zurückzufliegen. Plötzlich sah ich mich damit konfrontiert allein in einem Land zurückzubleiben, von dem ich noch nichts kannte, welches aber anscheinend zu schrecklich für meine Mitfreiwillige war, um sich länger als einen Monat darin aufzuhalten. Die Geschichten, die sie mir erzählt hatte – aufgrund ihrer eigenen Gefühlslage waren sie zumeist negativ eingefärbt – kamen mir nun um einiges schlimmer vor, zumal ich keine Gegenbeispiele hatte. Eigene Kontakte zu knüpfen und selbst Erfahrungen zu sammeln, dazu hatte sich noch keine Gelegenheit geboten.

Die Vorstellung ein ganzes Jahr ohne Mitfreiwillige zu verbringen war sehr furchteinflößend für mich. Ich war nicht darauf vorbereitet allein zu wohnen oder zu arbeiten. Dann kündigte auch noch mein Mentor (für mich unverhofft) an zum Ende des Monats in die Distrikthauptstadt Ho versetzt zu werden. Mit einem Schlag waren zwei meiner Hauptstützen weggebrochen. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte.

Die Eingewöhnung

Zum Glück war ich nicht auf mich gestellt. Father Isaac (oder kurz: Father) wusste, dass ich mich in meiner Gastfamilie isolieren würde, denn obwohl meine Gastmutter Ama und ich uns gut verstanden, lebte sie nicht mit auf dem Grundstück und hatte immer viel zu tun. Die restlichen Frauen sprachen untereinander Ewe – teilweise konnten sie auch kein Englisch –, was die Integration erschwerte. Schon in den ersten Tagen fühlte ich mich einsam – ein Gefühl, dem Father entgegenwirken wollte.

Ich wurde vorübergehend bei den beiden anderen Freiwilligen in Hohoe untergebracht, Johannes und Frederik, um über ihre Gastfamilie Anschluss zu finden. Die Nähe zu den anderen Freiwilligen war in der Tat ein Anker für mich. Ihre Gasteltern, Rosemary und Freeman, empfingen mich mit offenen Armen. Nicht zuletzt hatten sie eine Katze, Echo, dessen Anwesenheit gerade am Anfang Gold wert war. Da ich mit Katzen aufgewachsen bin, stellte er ein Stück Heimat da, das ich so dringend nötig hatte.

Rose und ich führten lange Gespräche, die mir halfen zu verstehen, wie die Dinge in Ghana gehandhabt werden. Ich lernte neue Menschen kennen, der Großteil außerordentlich herzlich und aufgeschlossen, die mir bewiesen, dass Carinas Erfahrungen nicht allgemeingültig waren.

Trotzdem plagten mich in dieser Zeit viele Sorgen – primär, dass ich bald wieder zurück in die andere Gastfamilie wechseln würde. Mir kam es so vor, als würde man die Einsamkeit bloß verschieben. Die Verhältnisse, wie ich sie gerade begann kennenzulernen, würden mir wieder genommen. Ich lief auf den dritten Neustart zu – und das innerhalb eines Monats.

Glücklicherweise kam es nicht dazu. Als die Zeit meines Umzugs nahte, räumten Rose und Freeman kurzerhand ein weiteres Zimmer frei und boten mir an bei ihnen zu bleiben. Von diesem Moment an konnte ich es mir erlauben bei ihnen anzukommen. Langsam stellte sich eine Routine ein; nun konnte es bergauf gehen.

Meine Ankunft in der Schule

Doch auch die Anfangszeit an der Corpus Christi Academy hielt mehr Hürden bereit als gewünscht.

Am Ende meiner ersten Woche nahm Father Carina und mich zur Schule mit und stellte uns dort vor. Bereits zu diesem Zeitpunkt erlebten wir unsere erste Überraschung: die Beschreibung, die wir von den Vorfreiwilligen bekommen hatten, war nicht mehr aktuell. Wir hatten erwartet Kinder bis zur vierten Klasse zu unterrichten. Tatsächlich ging es aber inzwischen bis Klasse sieben. Über die Coronazeit hatte es auch im Lehrpersonal drastische Veränderungen gegeben. Nur zwei Lehrer hatten noch mit unseren Vorgängerinnen zusammengearbeitet. Viele wussten nicht einmal, dass wir zur Schule kommen würden.

Die erste Reaktion des Kollegiums fiel entsprechend verhalten aus. Ganz anders erlebten wir es, als wir durch die Klassen geführt wurden. Ich erinnere mich an dutzende Schülerinnen und Schüler, die uns umringten; Hände, die uns berühren wollten; Augen, die zu uns aufblickten. Es ist eine Situation, die mir noch oft passiert ist, doch gerade das erste Mal war überwältigend. Wie es bei Kindern so oft der Fall ist, wurden wir sofort aufgenommen, und das mit schierem Enthusiasmus.

Das Schulleben kam mir am Anfang ziemlich chaotisch vor. Als wir fragten, welche Fächer wir denn unterrichten sollten, wurden wir mit einem Schulterzucken abgetan. „Was auch immer ihr wollt“, so hieß es. Da wir aber selbst nicht genau wussten, was wir wollten (und was uns in manchen Fächern erwartete), besuchten wir in den ersten Tagen verschiedene Klassen.

Manche Lehrer ließen uns ihren Unterricht direkt übernehmen. In meiner ersten Stunde Englisch drückte mir der Lehrer das Buch in die Hand und setzte sich mit dem Kommentar „heute sind Präpositionen dran“ nach hinten. Ich war hoffnungslos überfordert, besonders weil ich noch keine Gelegenheit gehabt hatte, um mich an den ghanaischen Akzent zu gewöhnen.

Es dauerte eine Weile, bis ich das System in der Schule erkannt und durchblickt hatte. Die ersten Tage „mogelten“ wir uns dagegen eher durch. Für die nächsten Monate blieb es dabei, dass ich verschiedenste Klassen und Fächer besuchte. Auf diesem Weg lernte ich verschiedene Unterrichtsstile kennen, während ich mich langsam in mein Umfeld einfand.

Carinas Abreise beeinflusste mein Leben im Projekt maßgeblich, gerade in der Anfangszeit. Das lag aber nicht daran, dass ich mir die Arbeit allein nicht vorstellen konnte; sie hatte mich nur an den ersten drei Tagen begleitet, ich war also praktisch von Anfang an auf mich gestellt. Vielmehr ging es um die Beziehung zu den Lehrern und Lehrerinnen, mit deren Methoden ich mich nicht anfreunden konnte.

In Ghana ist das „caning“, das Schlagen mit dem Rohrstock, gang und gäbe. Mit meinen Werten ließ sich das nicht vereinbaren und es fiel mir schwer diese Tat von der dahinterstehenden Person zu trennen. Ich vermied also den Kontakt zum Lehrpersonal, wo ich nur konnte. Ohne die Unterstützung durch meine Mitfreiwillige war es eine Zeit geprägt von Zweifeln, ob ich hier wirklich richtig aufgehoben war.

Doch als ich mir schließlich ein Herz fasste und meine Probleme ansprach, begegneten mir meine Kollegen und Kolleginnen mit erstaunlich viel Verständnis. Sie zeigten sich offen dafür gemeinsam andere Methoden zu entwickeln und machten deutlich, dass sie meine Meinung und Anwesenheit schätzten. Wie außergewöhnlich diese Reaktion war, das würde ich erst später begreifen, doch schon zu dem Zeitpunkt bedeutete mir das Zugeständnis sehr viel. In darauffolgenden persönlichen Gesprächen zeigte sich, dass es sich um ganz normale Menschen handelte. Inzwischen gehören sie zu meinen liebsten Personen in Ghana.

Mit der Unterstützung des Personals begann ich mich langsam in der Schule wohlzufühlen. Es gab eine Menge zu entdecken, selbst im Unterricht. Ich übernahm das morgendliche Einsammeln des Essensgeldes und lernte darüber langsam die Kinder kennen. Am Anfang sorgten die Namen für reichlich Verwirrung, denn in Ghana hat jeder zwei oder sogar drei Stück: man wird nach dem Wochentag benannt, an dem man geboren wurde (ich heiße zum Beispiel Aku, stellvertretend für ein Mädchen, das am Mittwoch geboren wurde) und die Eltern vergeben zusätzlich einen Namen in Englisch und/oder der Regionalsprache Ewe. Bezeichnungen wie Mawufemor (Ewe für Gottes Weg), Edudzi (Ewe für Gewinner) oder Morkpopo (Ewe für Hoffnung) waren mir fremd. Und auch die Verständigung musste erst einmal gelingen, besonders mit den kleineren Kindern.

Doch der Grundstein war gelegt – was ich nun brauchte, war Zeit.

Der Wendepunkt

Wie ich bereits betont habe, gab es (und gibt es immer noch) eine Menge zu lernen. Dazu gehörten auch Dinge, die die Ghanaer als trivial ansahen, sei es seine Wäsche mit der Hand zu waschen, die lokalen Gerichte zuzubereiten oder schwere Lasten auf dem Kopf zu tragen.

Ich erinnere mich daran, dass ich in den ersten Wochen eine Liste geführt und versucht habe festzuhalten, was mir alles aufgefallen ist. Der Großteil meiner Lernerfahrungen – besonders die essenziellen Momente – lief allerdings unterbewusst ab und wird mir erst in der Retrospektive klar. Zudem wollte ich mich in die ghanaische Kultur einfinden und sie nicht konstant mit meinem deutschen Leben vergleichen. Ich gab es also schnell auf die Unterschiede festhalten zu wollen und fokussierte mich darauf meinen Alltag vor Ort zu gestalten.

Unsere anfänglichen Ausflüge waren auf Hohoe und das Umland begrenzt, denn erst einmal mussten wir unsere eigene Region kennenlernen. Meine Gastfamilie nahm mich zum Markt und zu verschiedensten Restaurants mit. Ich lernte Amas neu gekauften Shop und Freemans Farm kennen und besuchte Father Isaac des Öfteren bei seiner Kirche, St. Augustine, nicht zuletzt bei seiner Abschiedsmesse.

Auch schaute ich das erste Mal in Wusuta vorbei, dem Dorf, in dem die anderen Freiwilligen lebten. Sie nahmen mich zu ihrer Einsatzstelle und zum Voltasee mit, den man zu Fuß in ungefähr 45 Minuten erreichen kann.

Schließlich ging es für eine Priesterweihe nach Ho und für eine Beerdigung nach Agbenoxoe. Dort besuchten wir die sogenannte „Grotto“, welche die Passion Christi in ihren einzelnen Stationen bildlich darstellt und zusätzlich die größte Marienstatue Westafrikas beherbergt.

Die erste größere Reise traten wir Ende Oktober an und fuhren gemeinsam mit unseren Mentoren in die Hauptstadt Accra, um unsere Visa zu verlängern. Nach dem bürokratischen Teil entschieden wir uns als Freiwillige länger zu bleiben. Ich kam erstmals in Kontakt mit der touristischen Seite Ghanas.

Ich erinnere mich aber eher an die Bekanntschaften, die ich machen durfte. Einen Abend verbrachten wir mit einem Schulkamerad Frederiks, der selbst für ein FSJ nach Ghana gekommen war, und dessen Mitfreiwilligen. Mit ihnen konnten wir Erfahrungen austauschen und feststellen, welche der Bräuche und Verhaltensweisen, die wir kennengelernt hatten, tatsächlich als ein Teil der ghanaischen Kultur zu verstehen waren und welche vielmehr auf unseren Freundeskreis begrenzt waren.

Die meisten Freiwilligen, die ich kennenlernen sollte, unterrichteten an Schulen. Eine meiner Bekanntschaften aus Accra arbeitete jedoch mit einer bayrischen Solarfirma zusammen, ABIOLA, mit welchen er Solarpanels sowie Computer an Schulen verteilte. Sein Projekt faszinierte mich, denn es zeigte mir die Möglichkeiten auf, mit welchen man als Freiwillige/-r in Ghana Einfluss nehmen kann.

Doch das war nicht der einzige Kontakt, der mich nachhaltig prägen sollte – denn ich bekam Besuch von zuhause. Meine Patentante kam für einen Workshop zu derselben Zeit nach Accra, in der wir für die Visaverlängerung anreisten. Mir wurde erlaubt sie für einen Tag zu begleiten. Es war eine schöne Zeit, denn natürlich hatte ich sie sehr vermisst und es gab eine Menge zu erzählen.

Bei den Seminarteilnehmern, denen ich vorgestellt wurde, handelte es sich außerdem um zutiefst beeindruckende Personen. Ich erinnere mich an einen Lehrer, der ein System gegen das caning eingeführt hat; an eine Frau mit ihrer eigenen Firma, in der sie solarbetriebene Taxis herstellt und repariert und dabei mit einer 95%-igen Frauenquote für die Unabhängigkeit ihrer Mitarbeiterinnen von deren Partnern kämpft; an Repräsentanten und Repräsentantinnen der NGO „The Rising Lions e.V.“, welche aus ghanaisch-deutscher Kooperation entstanden ist, und an viele mehr. Es begeisterte mich, was diese Menschen geschafft hatten, und inspirierte mich weiterführend, mich an meine eigenen Projekte zu setzen.

Auch die Nacht im Hotel mit meiner Patentante ist mir in Erinnerung geblieben, genauso wie ein Besuch bei der Accra Mall, von der man mir bereits vorher erzählt hatte. Es war der erste Berührungspunkt mit der mir vertrauten westlichen Welt, seit ich sie knappe eineinhalb Monate zuvor hinter mir gelassen hatte. Meinem Gefühl nach war ich immer noch fremd in Ghana – doch die heiße Dusche im Hotelzimmer sowie die riesige Auswahl an Käse im Supermarkt hinterließen mich so perplex, dass ich mich wohl doch mehr eingefunden hatte als gedacht.

Die Reise nach Accra bewies, dass ich auf dem richtigen Weg war. Ich blieb mit einer neuen Richtung zurück, einer Mission, in die ich mehr als bereit war meine Energie zu investieren. Ich möchte diese Tage daher als Wendepunkt bezeichnen. Die Phase des Kulturschocks hatte ich überwunden. Von dort an begann ich meinen Aufenthalt in vollen Zügen zu genießen.